Projektionsfläche mit eigener Stimme

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Lilly-Marie Vogel bei der Eröffnungsgala 22/23 als Iphigenie © Konrad Fersterer
Lilly-Marie Vogel bei der Eröffnungsgala 22/23 als Iphigenie © Konrad Fersterer

17.09.2024
von Dr. Andrea Hoffmann

Mit beeindruckender Intensität hatte Lilly-Marie Vogler bereits bei der Eröffnungsgala 23/24 einen kleinen Auszug aus ihrem Monolog IPHIGENIES RACHE gezeigt. Auf der Bühne stand eine junge Frau in unschuldigem Weiß, jedoch war das Gewand blutbefleckt und zerrissen. Mit einem Blick deutet das bereits das Spannungsfeld von Stück und Figur an, einer Projektionsfläche, der Vogler eine eigene Stimme zurückgeben möchte. 

Warum Iphigenie und warum Rache?

Iphigenie beschäftigt mich schon seit meinem Studium. Sie ist eine wahnsinnig spannende Figur, die eigentlich die gesamte Literaturgeschichte hindurch immer wieder auftaucht und von Euripides über Boccaccio bis zu Goethe oder Volker Braun für Sichtweisen benutzt wird. Iphigenie ist ja längst von der Figur zum Mythos geworden. Bei der Arbeit an dem Monolog ist mir klargeworden, wie wichtig es ist, die Stimme, die ihr bisher aufgedrängt wurde, das aufgezwungene Narrativ, zu hinterfragen und neu zu denken. Und es sind ja fast ausschließlich Männer, die über sie schreiben, beziehungsweise deren Werke überliefert wurden.
Man muss sich auch klarmachen, wie absurd das ist, eine junge adlige Frau, die von ihrem Vater für Wind geopfert werden soll. Geopfert oder als Priesterin auf eine Insel verbannt wegen Wind! Das ist natürlich ungeheuerlich. Als ob es ein Trost sei, dass es einen Ort der Verbannung gibt oder als ob Ehrenmord wirklich ehrenhaft wäre. Da haben mich ihre möglichen realen Gedanken und Gefühle interessiert. War sie traurig, wütend, mutig, verletzt, zornig?

 

„Das Licht des Lebens gehört mir nicht mehr.“

 

So, wie Du das erzählst, wird Iphigenie ja durchaus heutig. Und sie war durch alle Zeiten Projektionsfläche für Frauenbilder und Rollenvorstellungen…

Ich versuche, Iphigenie eine andere Facette ihrer Identität zurückzugeben. Identitätswechsel ist ja das Wichtigste, was wir haben, um patriarchale Normen und überkommene Rollenbilder aufzubrechen.
Iphigenie hat für mich noch eine weitere persönliche Ebene. Es geht ja letztlich auch um das Vater-Tochter Thema, den abwesenden Vater, den Herrscher, den unnahbaren Vater, der aber immer da ist, den man liebt und mit dem man im Austausch sein möchte. Und dann gibt es ja auch „Vater Staat“, der einen schützen sollte. Dass so ein Vater seine Tochter einer Göttin opfert, um Krieg führen zu können, das kann schon auch wütend machen. Wie aber Iphigenies Zorn auf der Bühne aussieht, und wie das wunderbare Bühnenbild von Christiane Hilmer aussieht, das verrate ich noch nicht.

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